IPS Freitag, 11. März 2011
Brasilien könnte mit seinem florierenden Agrarsektor einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung des globalen Hungerproblems leisten. Laut der UN-Organisation FAO wird die Landwirtschaft des größten südamerikanischen Landes zwischen 2010 und 2019 voraussichtlich um 40 Prozent wachsen. Ein ehemaliger Minister wirft dem Staat jedoch das Fehlen einer geeigneten Entwicklungsstrategie vor. (544 Wörter) - Von Mario Osava
Bananenplantage in Pernambuco, Brasilien – Bild: Alejandro Arigon/IPS
Um die steigende Nachfrage nach Agrarprodukten zu befriedigen,
wären im gleichen Zeitraum der FAO zufolge weltweite Wachstumsraten
von mindestens 20 Prozent notwendig. Bis 2050 müssten Zuwachsraten
von 70 Prozent im internationalen Landwirtschaftssektor erzielt
werden. Brasilien könnte seine Position in diesem
Wirtschaftsbereich somit weiter ausbauen.
Das südamerikanische Land verfüge über "Böden, Technologien und
mutige Bauern", sagte der frühere brasilianische Agrarminister
Roberto Rodrigues im Gespräch mit IPS. Allerdings fehle es dem Land
noch an der geeigneten Strategie. Die politische Führung habe
offensichtlich noch nicht erkannt, dass "die Welt Brasilien eine
Chance gibt, seine Entwicklung verstärkt voranzutreiben".
Wie Rodrigues kritisierte, hat Brasilien seit der Gründung der
Agrarbehörde 'Embrapa' keinen nationalen Plan zur Entwicklung der
Landwirtschaft verfolgt. Der ehemalige Minister sieht allerdings
auch die Industriestaaten in der Pflicht und fordert von ihnen den
Abbau von Subventionen. Eine Öffnung der Märkte bringe auch die
Agrarproduktion in Schwung.
Wirtschaftsgigant China treibt Rohstoffpreise nach oben
China und andere asiatische Länder, die ein rasantes
Wirtschaftswachstum erleben, tragen dazu bei, die Rohstoffpreise
weiter in die Höhe zu treiben. Nachdem die Volksrepublik in den
vergangenen Jahrzehnten die Weltmarktpreise für Industriegüter
gedrückt hat, sind Rohstoffe aufgrund der zunehmenden chinesischen
Nachfrage teurer geworden.
Die Stabilität der Agrarpreise wird demnach auch durch Folgen des
Klimawandels wie Dürren und Überschwemmungen gefährdet. Zugleich
wurde der Anbau in Naturschutzgebieten begrenzt. All dies hat zu
einem Kostenanstieg geführt. Brasilianische Politiker versichern
jedoch, dass die Steigerung der landwirtschaftlichen Produktivität
nicht zu Lasten des Amazonas-Urwaldes gehen müsse.
Derzeit werden in Brasilien etwa 72 Millionen Hektar Land - rund
8,5 Prozent des gesamten nationalen Territoriums -
landwirtschaftlich genutzt. Weitere 90 Millionen Hektar könnten
urbar gemacht werden, ohne die Wälder zu opfern, sagte Rodrigues.
Bei dem größten Teil dieser Fläche handele es sich um abgegraste
Weiden.
Nach amtlichen Zahlen ist die Getreideernte in Brasilien in den
vergangenen 20 Jahren um 150 Prozent gestiegen. In der Saison
2010/2011 erreicht sie 148 Millionen Tonnen. Dabei hat sich die
Anbaufläche im Vergleich zu 1990 lediglich um 30 Prozent
vergrößert.
Auf etwa 200 Millionen Hektar Land wird in dem größten
lateinamerikanischen Staat Viehzucht betrieben. Experten erwarten,
dass der Anstieg der Fleischpreise auf den nationalen und
internationalen Märkten zu einer Modernisierung des Sektors führen
wird. Da jedem Nutztier derzeit eine Weidefläche von mehr als einem
Hektar zur Verfügung steht, wäre eine Verringerung der Weideflächen
zugunsten einer Vergrößerung der Agrarflächen denkbar.
Hoher Handelsüberschuss im Agrarsektor
Brasilien ist bereits der weltgrößte Exporteur von Zucker, Kaffee,
Fleisch, Soja und Orangensaft. Der Agrarbereich bescherte dem Land
im vergangenen Jahr einen Handelsüberschuss von rund 20,4
Milliarden US-Dollar. Der brasilianische Industriesektor rutscht
dagegen immer weiter ins Defizit.
Fachleute weisen in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die
Industrie mehr Arbeitsplätze schaffen kann als die Landwirtschaft.
Rodrigues ist jedoch anderer Meinung. Da der Agrarsektor
Düngemittel, Fahrzeuge, Lagerhallen, Maschinen und Verpackungen für
Lebensmittel benötige, sei er sogar noch wichtiger für die
nationale Entwicklung als die Industrie. Auch wenn die
Landwirtschaft ein Saisongeschäft sei, werde die
Lebensmittelproduktionskette nie unterbrochen.
Original veröffentlicht von Inter Press Service. © www.streetnewsservice.org